Verfolgung und Neuanfang – Die Geschichte der Familie Hoeber in der Zeit des Nationalsozialismus

Schülerinnen und Schüler der Dieter-Forte-Gesamtschule Düsseldorf gewinnen im Gespräch mit dem Zweitzeugen Francis Hoeber Einblicke in die Lebensumstände seiner Eltern während der Zeit des Nationalsozialismus.

v. l. W. A. Noethen, A. Schlieck, F. Hoeber, A. Sonnen, J. Weitz
v. l. W. A. Noethen, A. Schlieck, F. Hoeber, A. Sonnen, J. Weitz

Im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zum 83. Jahrestag des Novemberpogroms 1938 fand am 10. November 2021 auf Initiative von Lehrer Wolfgang A. Noethen in Kooperation mit Anna Schlieck von der Mahn- und Gedenkstätte der Stadt Düsseldorf sowie unter Mitwirkung von Andrea Sonnen, die die Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Düsseldorf vertrat, ein Gespräch zwischen dem Zweitzeugen Francis Hoeber und Schülerinnen und Schülern des 10. Jahrgangs sowie der Oberstufe statt.

In seiner Begrüßungsrede wies Schulleiter Jürgen Weitz darauf hin, dass er froh sei, dass diese vielleicht wichtigste Veranstaltung des Jahres 2021 an der Schule durchgeführt werden könne. „Sie soll dazu beitragen, die Erinnerung an die Verbrechen und den Terror der nationalsozialistischen Herrschaft bei unseren Schülerinnen und Schülern wachzuhalten und uns alle motivieren, für ein menschliches und wertschätzendes Miteinander einzutreten“, betonte Weitz.

F. Hoeber beantwortet Fragen der Schülerinnen und Schüler
F. Hoeber beantwortet Fragen der Schülerinnen und Schüler

Anna Schlieck von der Mahn- und Gedenkstätte stellte Francis Hoeber vor und gab einen kurzen Einblick in die Geschichte seiner Eltern:
Francis Hoeber wurde 1942 in den USA geboren und lebt als Historiker in Philadelphia. In seinem Buch „Deutsche auf der Flucht, ein Briefwechsel zwischen Deutschland und Amerika von 1938 bis 1939“ dokumentiert er die nervenzehrende Fluchtgeschichte seiner Eltern, eines jungen, regimekritischen Akademikerpaares, das Augenzeuge des Novemberpogroms in Düsseldorf war. Sein Vater, Johannes Hoeber, ein Sozialdemokrat und „nichtarischer Christ“, konnte dank eines glücklichen Zufalls bereits im November 1938 in die Vereinigten Staaten auswandern. Seine Frau Elfriede und die neunjährige Tochter Susanne durften erst im September 1939, kurz nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, folgen. Regelmäßige Briefe bildeten in der Zwischenzeit die wesentliche Verbindung. In diesen Briefen beschreibt Elfriede die sich zunehmend verschlechternde Situation in Deutschland und Johannes seine mühsamen Fortschritte, in Amerika Fuß zu fassen. Ende der 1980er Jahre, ein Jahrzehnt nach dem Tod des Vaters, fand ihr Sohn Francis die Briefe, die seine Eltern nach dem Start in ein neues Leben selbst vor ihren Kindern niemals mehr erwähnten, weil sie nicht mehr über die Vergangenheit sprechen wollten.

Schulleiter J. Weitz dankt F. Hoeber
Schulleiter J. Weitz dankt F. Hoeber

In dem sich anschließenden Gespräch konnten die Schülerinnen und Schüler durch die Beantwortung ihrer zahlreichen Fragen an Hoeber tiefere Einblicke in die Lebensbedingungen der damaligen Zeit gewinnen, die durch Angst, Unsicherheit und Leid geprägt waren. Hoeber wies darauf hin, dass die Kommunikationswege wesentlich länger waren als heute, so dass man auf die Beantwortung eines Briefes mehrere Wochen warten musste. Seine Eltern konnten Probleme nicht zeitnah besprechen und auf Grund der Gefahr, dass die Gestapo Briefe öffnete, regimekritische Gedanken und ihre Verzweiflung auch nur verschlüsselt ansprechen. Hoeber sieht es als seinen Auftrag, die Erfahrungen seiner Eltern auch in der heutigen Zeit lebendig zu halten. Er lernte seine Eltern in den Briefen ganz neu kennen. Seine Mutter, die er als scheu und leise erlebte, war vor ihrer Flucht aus Deutschland eine humorvolle und lustige Frau. Es war schwierig für seine Eltern, die in Deutschland in Wohlstand gelebt hatten, in Amerika ein neues Leben aufzubauen und sich beruflich zu etablieren. Auf die Frage eines Schülers, ob Hoeber es bereue, mit seinen Eltern nicht über die Briefe gesprochen zu haben, antwortete Hoeber, dass er noch sehr viele Fragen an seine Eltern gehabt hätte, die nun leider nicht mehr geklärt werden könnten. Deshalb appellierte er: „Fragt eure Eltern nach ihrem Leben und eurer Familiengeschichte.“ Wolfgang A. Noethen wies darauf hin, dass es auch in unserer Schülerschaft Familien mit Fluchterfahrung gibt. „Aus den Briefen meiner Eltern können wir lernen, dass Vertreibung eine Tragödie ist. Man kann Schwierigkeiten in einem neuen Land aber überwinden und ein neues Leben beginnen“, so Hoeber. Auf die Frage, wie es für Hoeber sei, in Düsseldorf zu sein, einem Ort, an dem seine Eltern durch die Nazis bedroht wurden, antwortete Hoeber, wie gewinnbringend der Austausch mit den Jugendlichen für ihn gewesen sei und dass er sich durch den Kontakt zur Mahn- und Gedenkstätte wohl und willkommen fühle. „Heute liebe ich Düsseldorf; aber das war nicht immer so. Ich könnte hier leben, allerdings ist meine Heimat Philadelphia“.

Redaktion: Claudia Stapenhorst-Rink

Fotos: Manuela Kossatz-Loebb und Nico Abel

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